Erzähltcafé 04.05.2023

Wenn der Körper schlapp macht

Die Selbsthilfegruppe Fatigatio e.V. stellt sich vor.

Eindringlich berichteten Anke Gioia, die extra aus Ludwigsburg angereist war, und die Mannheimerin Irena Hilgart über ihre Krankheit, die in das eigene Leben so dramatisch einschneidet, dass Betroffene von fast allem, was vorher selbstverständlich war, von jetzt auf nachher Abschied nehmen müssen: Beruf, Hobbies, Gewohnheiten. ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatique Syndrom), oft ausgelöst durch Virenerkrankungen, legt lahm. »Dass man ein Buch liest, kann zu anstrengend sein«, erzählt Diplomsozialwirtin Irena Hilgart, bei der die lebenseinschränkenden Symptome im Alter von 31 Jahren zugeschlagen haben. Erst sechs Jahre später – nach einer zermürbenden Ärzteodyssee – erhielt sie ihre Diagnose. Heute ist sie berentet und hat gelernt, Prioritäten zu setzen und ihre Energie einzuteilen. Bei Anke Gioia hat sich der Schalter im Herbst 2019 nach einem Pfeifferschen Drüsenfieber umgelegt. Nicht nur ihren »Traumberuf« Lehrerin, mit dem sie die Familie ernährte, musste sie aufgeben, auch alle Freizeitaktivitäten brachen weg. Ein Jahr habe sie Trauerarbeit geleistet und sich inzwischen mit der Krankheit, die sich neben der chronischen Erschöpfung mit permanentem Schwindel und Schmerzen bemerkbar macht, eingerichtet. Schreiben und Meditieren helfe ihr.

Selbsthilfegruppe Fatigatio

Selbsthilfegruppe Fatigatio 2

 

Beide Frauen beklagen das Verhalten vieler Ärzte und mancher Ärztin, die die Symptomschilderungen der Patientinnen – tatsächlich betrifft die Krankheit zu 80 Prozent Frauen – nicht ernst nehmen, und schnell dabei sind, die Hilfesuchenden in die Psychoecke zu stellen. Obwohl die Krankheit als solche seit 1969 einen eigenen Diagnoseschlüssel in der Internationalen Klassifikation der Krankheiten hat (G 93.3), wurde sie erst 2014 vom Bundestag als körperliche Krankheit anerkannt. In diesbezüglicher Ausbildung, Forschung und Therapie hinkt Deutschland anderen Staaten hinterher. Nichtsdestotrotz wurde die Krankheit ca. 500.000 Mal diagnostiziert – Schätzungen gehen von deutlich mehr Fällen aus. Etwas mehr Aufmerksamkeit verschafft hat Long-Covid diesem Thema, da hierbei ähnliche Symptome auftreten können.

 

In den Selbsthilfegruppen erleben Betroffene oft zum ersten Mal, dass ihnen geglaubt wird und sind dafür »unglaublich dankbar«, berichtet Anke Gioia. Ihre vor eineinhalb Jahren in Ludwigsburg gegründete Gruppe wächst stetig. Ähnlich ist es in der Ludwigshafener Gruppe, die von Irena Hilgart geleitet wird. Äußerst wichtig ist der Austausch über die Erfahrungen mit dieser Krankheit, für die es noch keine Therapie gibt, und die gegenseitige Information. Das uneinheitliche Beschwerdebild mit ca. 200 Symptomen erschwert eine klare Einordnung. Neben Medikamenten, die einzelne Symptome lindern können, ist das »Pacing«, eine besondere Form des Energiemangements, ein wichtiger Baustein beim Bewältigen der Erkrankung. Lernen, eigene Grenzen frühzeitig zu erkennen und zu respektieren, hilft den Erschöpfungszuständen, die oft erst Tage später einsetzen und Wochen anhalten können, entgegenzusteuern.