Schädel-Hirn-Verletzte Erzählcafé 29.06.2023

Toll, ich lebe noch!

Treffpunkt Schädel-Hirn-Verletzte (SHV) Heidelberg stellt sich vor.

Vor drei Jahren und drei Tagen verrichtete Gärtnermeister Stefan Böhm – vorschriftsmäßig gesichert mit Gurt und Helm – seine Pflegearbeit an einem Hang. Danach scherzte er mit Kollegen, gab Anweisungen, machte das, was ein Gruppenleiter eben so macht. Bis ein Kollege ihn darauf aufmerksam machte, dass er auffällig schwitzte und schließlich ein anderer ihn äußerst besorgt ins Krankenhaus fuhr, war ihm nichts Besorgniserregendes aufgefallen. In der Computertomografie wurde eine Hirnblutung festgestellt und der Patient in die Kopfklinik verbracht, wo er umgehend operiert wurde. Eine Woche später wurde er entlassen. In detektivischer Kleinarbeit gelang es ihm, den Unfall, an den er sich nicht erinnerte, zu rekonstruieren. Offenbar war er ausgerutscht und hatte sich am Kopf verletzt. Die Blutung war gestoppt, aber das Trauma hatte schwere Einbußen zur Folge. In der Sonne wurde es ihm schlecht, er hatte Wahrnehmungs- und Reaktionsstörungen, war zunächst nur minutenweise belastbar und fragte sich, ob er jemals würde wieder in seinem Beruf arbeiten können. Langsam kämpfte er sich ins normale Leben zurück. Dabei geholfen habe ihm sein Hund, wie Stefan Böhm betont, die seiner Leistungsfähigkeit angepassten Spaziergänge mit ihm und ein großer Baum in seinem eigenen Garten, in dessen Schatten er sich erholen konnte. Gezieltes fünfwöchiges Training bekam er schließlich in einer Rehabilitationsklinik. Danach folgte Autofahrtraining in einer Fahrschule und er setzte sich wieder aufs Fahrrad. Elf Monate nach dem Unfall begann dann die schrittweise Wiedereingliederung am Arbeitsplatz. Stefan Böhm – nicht nur beim Arbeitgeber geschätzt als kompetenter und verantwortungsvoller Gruppenleiter – sondern auch als Kollege, erhielt die Unterstützung, die ihm den erfolgreichen Wiedereinstieg in seinen Beruf ermöglichte.

Auch wenn sein Unfall von der Berufsgenossenschaft als Arbeitsunfall anerkannt wurde und Stefan Böhm dadurch gute Rehabilitationsmöglichkeiten erhielt, beklagt er die bürokratischen Zumutungen, die einem Patienten gemacht werden, bis er seine Rechte erhält. Formulare, Formulare …

Die Unterstützung von Menschen wie Stefan Böhm ist Alltag im Treffpunkt Schädel-Hirn-Verletzte SHV, der seit 1993 in Heidelberg auf Initiative einer Selbsthilfegruppe, die sich 1990 zusammengefunden hatte, starten konnte. Die Tagesstätte bietet eine ambulante Übergangsrehabilitation (u. a. Physio- und Ergotherapie, sowie Logopädie und diverse Kreativangebote). Barbara Nitzpon ist eine der ehrenamtlichen Helferinnen. Die ehemalige Krankenschwester war schon während ihrer beruflichen Tätigkeit mit Menschen befasst, die eine Schädel-Hirn-Verletzung davongetragen hatten. Die häufigsten Ursachen sind Unfälle im Verkehr und im Sport, aber auch Schlaganfälle und Stürze, berichtet sie. Männer sind dabei deutlich häufiger betroffen als Frauen. Pro Jahr betrifft es ca. 8.200 Menschen in Deutschland.

In der Selbsthilfegruppe, die u. a. einen monatlichen Gesprächskreis und Ausflüge organisiert, sind ca. 50 Menschen aus dem gesamten Rhein-Neckar-Kreis Mitglied. Barbara Nitzpon plädiert für Aufklärungsarbeit – schon bei Kindern – und Präventionsprogramme. Aber auch die Kommunikation und Vernetzung unter den verschiedenen Berufsgruppen und Helferinnen und Helfern, die mit Schädel-Hirn-Verletzten arbeiten, müsste dringend verbessert werden. Ebenso sieht sie eine Versorgungslücke im System, wenn Menschen die Therapien hinter sich haben.

Stefan Böhm, der seinem Helm und einem Schutzengel dankt, dass er noch am Leben ist, aber auch betont, dass man selbst kämpfen muss, um zu überleben, wünscht sich mehr Ausdauer bei den Menschen im Umfeld der Betroffenen, weniger Bürokratie und eine Verbesserung bei der Umsetzung der Patientenrechte, z. B. die eigene Krankheitsakte zeitnah zu erhalten.

Erzählcafé am 29.06.2023

Kontakte:

Treffpunkt SHV e. V.: Kranichweg 24, 69123 Heidelberg, Tel.: 06221/600460, E-Mail: treffpunktshv@gmx.de, www.treffpunktshv.de

Selbsthilfegruppe SHV Heidelberg: 06223/8014663